Dies und Das Blog

Unsortiert. ✅ Unzensiert. ✅ Unwiderstehlich. 🤷🏻

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Vorname Liona – ein Name, der eigentlich nie existieren sollte

Leipzig, Anfang der fünfziger Jahre. Der Krieg lag noch nicht lange zurück, die Stadt roch nach Kohleöfen und Neubeginn. In den langen Gängen des Standesamts herrschte diese besondere Stille, die nur Ämter haben – gedämpftes Stimmenmurmel, das Kratzen von Füllfedern, ein Hauch von kaltem Tabak.

Mein Opa stand dort, mit schweißnassen Händen und einem Herz, das schneller schlug als jede Bahnhofsuhr. Sein erstes Kind war geboren, ein kleines Mädchen. Meine Oma, noch im Wochenbett, hatte ihn losgeschickt: „Du schaffst das schon, sag einfach Leona. So wie wir es besprochen haben, Helmut.“

Kurze Zeit später:.. Die Feder kratzte über das Papier.
„Name: …Liona Gabriele“

Liona – Zufallskind


Was wirklich gesagt wurde, lässt sich nicht mehr klären. Aus den Erinnerungen meines Opas soll er in diesem Moment gestutzt haben. „Leona“, wollte er angeblich noch verbessern. Aber das „i“ war längst gesetzt, die Tinte dunkel und endgültig.

So, und in jedem Fall für mich, wurde der Vorname Liona vom Zufall kreiert!

Ein Name, den es in Leipzig zuvor nicht gegeben hatte. Ein Name, geboren aus Aufregung und Zufall – und doch für immer gültig. Meine Oma war überzeugt: Mein Opa hatte vor lauter Herzklopfen einfach genuschelt. Mein Opa hingegen schwor sein Leben lang, er habe alles richtig gesagt. Stets verteidigte er sich mit dem (seiner Meinung nach unschlagbarem) Argument: „Ich hab Leona gesagt. Wirklich! Die haben nur falsch gehört. Es wäre doch dumm von mir, »Liona« zu sagen – ich wollte sie doch Leo rufen!“
Meine Antwort? Ein trockenes: „Ähm, joa … unschlagbares Argument Opa!“

Die Wahrheit irgendwo zwischen »e« und »i«

Doch die Geburtsurkunde kannte keine Diskussion. Liona war da – einzigartig, offiziell, schwarz auf weiß.

Viele Jahrzehnte später trage ich diesen seltenen Vornamen mit mir herum wie eine Geschichte, die in meiner Familie niemand mehr so recht erklären kann – außer mit Lächeln, Schulterzucken und einem Hauch Wehmut. Aber für mich ist Liona nicht nur ein Name. Es ist das, was geblieben ist, nachdem ich mit sechzehn meine Mutter verloren habe.

Am 23. Oktober 1998 stand ich an ihrem Bett. Ich habe mich verabschiedet, und sie hat nicht mehr die Augen geöffnet. Kein letzter Blick, kein letztes Wort. Nur das Gewicht des Moments, das sich in mir festgesetzt hat wie ein Stein, den man nie mehr loswird.

Allein weitergehen

Seitdem kämpfe ich. Nicht heroisch, nicht schön verpackt, sondern so, wie man eben kämpft, wenn plötzlich alles fehlt. Ich war noch ein Kind, aber von da an gab es kein Netz mehr, das mich gehalten hätte. Die, die da waren, waren nicht wirklich da. Manchmal anwesend, aber nicht spürbar. Und also blieb nur eins: allein lernen, allein durchhalten, allein stark sein – ob ich wollte oder nicht.

Dieses Alleinsein hat Spuren hinterlassen. Aber es hat mich auch dazu gebracht, genau hinzusehen, zu hinterfragen, nicht einfach hinzunehmen. Vielleicht habe ich deshalb heute so ein Gespür für Geschichten, für die kleinen Fehler im großen System, für die winzigen Zufälle, die ganze Leben verändern.

Denn was ist der Vorname Liona anderes als genau das? Ein Zufall, ein Missverständnis, ein Moment der Aufregung – und doch ein Wort, das ein ganzes Leben getragen hat.

Zwischen Federstrich und Vermissen

Wenn ich heute an meine Mutter denke, sehe ich nicht nur ihre Augen oder ihr Lächeln. Ich sehe auch dieses Leipziger Standesamt, meinen nervösen Opa, die Feder, die ein „i“ zu viel schrieb – und wie aus Leona für immer Liona wurde.

Manchmal entsteht Geschichte nicht aus großen Entscheidungen, sondern aus einem Zittern in der Stimme, einem Kratzen der Feder. Und manchmal reicht ein einziger Buchstabe, um alles anders zu machen.

Und wenn ich zurückblicke, sehe ich, dass nicht nur ihr Name einzigartig war.
Auch ihr Leben war es. Auch mein Weg danach.
Und ich vermisse sie – nicht als Erinnerung von gestern, sondern Tag für Tag, bis heute.

👉 Vielleicht liest hier jemand mit, der etwas über die Herkunft oder die erste Vergabe des Vornamens Liona in Deutschland weiß. Ich freue mich sehr über jeden Hinweis oder Austausch dazu – denn so lebt diese Geschichte nicht nur in meiner Familie, sondern auch ein Stück darüber hinaus.


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